Außerirdische Materialwissenschaften, irdische Geisteswissenschaften

Der US-Militärgeheimdienst Defense Intelligence Agency (DIA) hat Informationen über gefundene und untersuchte UFO-Wrackteile veröffentlichen müssen, weil der „Ufologe“ Anthony Bragalia sie dazu aufgrund des Freedom of Information Act (FOIA) aufgefordert hatte. Angeblich soll es sich bei den Bruchstücken um Materialien mit höchst interessanten Eigenschaften handeln, die das Pentagon von einer privaten Firma, Bigelow Aerospace (bei Las Vegas/Nevada), untersuchen ließ.

Metamaterialien

Erwähnt werden folgende, hoch-technisierte „Metamaterialien“:

  1. eine leichte, aber robuste Legierung mit Formgedächtnis, die sich leicht verbiegen lässt und dann wieder in ihre ursprüngliche Form zurückkehrt,
  2. ein Material, das Licht verlangsamen oder sogar zum Stillstand bringen können soll,
  3. ein Material, das durch die Manipulation von Lichtbrechung, Reflektion und Absorption, transparent bzw. unsichtbar werde,
  4. ein Material, das elektromagnetische Energie komprimiere, womit Informationen und Energie auf kleinerem Raum gespeichert und schneller transportiert werden könnten,
  5. ein Material mit veränderlicher Resonanz, das auf einen kleinen Impuls mit großer Vibration reagiere, so dass damit Energie aus der Umgebung gewonnen werden könnte,
  6. amorphe, „flüssige“ Metalle.

Ob es das nun wirklich gibt, oder ob das Pentagon absurde Storys streut, um von realweltlichen Problemen abzulenken oder eine zusätzliche Drohkulisse aufzubauen, zumindest liest sich das wie Science Fiction.

Irdische Erfinder und Firmen würden mit solchen Patenten Milliarden machen können. Tun sie aber nicht. Vielleicht weil das reverse engineering noch nicht so weit ist? Es ist einfacher, aus bekannten Zutaten anhand eines Rezeptes einen Kuchen zu backen, als einen unbekannten Kuchen vorgesetzt zu bekommen, und weder die exotischen Zutaten noch das Rezept zu kennen, so dass die Herstellung dieses ominösen Kuchens ein Rätsel bleibt.

Implikationen

Die Implikationen sind letztlich weniger materialwissenschaftlich, als vielmehr politisch und gesellschaftlich, um nicht zu sagen philosophisch. Denn wenn solche Materialien wirklich außerirdische Raumfahrzeug-Wrackteile sind, dann haben diese intelligente Urheber, die hierher auf die Erde geflogen sind.

Da stellen sich zumindest diese Fragen:

  • Warum sprechen sie nicht mit uns? (Wollen sie nicht? Haben sie schon, aber mit wem? Verstehen wir nicht? Waren es „unbemannte“ Missionen ohne Erstkontakt-Protokoll? Sind wir kein respektabler Gesprächspartner?)
  • Sind wir überhaupt bereit für den Kontakt mit Nicht-Erdlingen? (Die Rücksichtslosigkeit oder auch Fremdenfeindlichkeit gegen Angehörige unserer eigenen Art, die milliardenfache Tötung von empfindsamen Tieren, das rücksichtslose Gegeneinander in den zwischenstaatlichen Beziehungen, verheißen Nichtmenschen keine positiven Aussichten auf interstellare Freundschaft und Kooperation.)
  • Wie sollten wir uns ihnen gegenüber verhalten?

Universelle Ethik

Das Hauptproblem sind wir selbst. Wer mit uns Kontakt aufnehmen will, muss mit allem rechnen, auch mit fliegenden Kugeln und Atomraketen. Oder mit kleinkarierter Profitgier, die hochzivilisierten Intelligenzen hoffentlich anstößig wäre.

Der Philosoph Emmanuel Levinas meinte, dass Ethik da entstehe, wo einer dem Anderen in die Augen schaue. Auf Menschen mag das im Normalfall zutreffen (auch gegenüber vielen Tierarten). Bei blinden Menschen wird es schon schwerer. Empathie und Ethik entsteht aber sicherlich auch durch Körperkontakt, Anrede und Nähe. Bei fremdartigen Wesen, die uns überhaupt nicht ähnlich erscheinen und womöglich nichts als Auge Identifizierbares aufweisen, könnte der Anblick statt Ethik ungeheure Angst erzeugen. Diese Binnenethik ist in ihren Grenzen schön und gut, aber sie ist keinesfalls universell oder zielsicher.

Der Ethiker Peter Singer meint, Ethik gebe es in verschiedenen Stufen. Wesen mit Empfindungsfähigkeit, Selbstbewusstsein und Plänen für die Zukunft stünden über Wesen, die nur Bewusstsein hätten, weswegen wir Menschenaffen, Delfine usw. als Personen dieselben Rechte zubilligen müssen, wie wir sie menschlichen Personen zuerkennen. (Um nicht-selbstbewussten Lebewesen zu schaden, müssten wir zumindest gute Gründe vorbringen. Pflanzen sollten wir nicht grundlos zerstören, aber wir könnten sie bedenkenlos ernten, um uns davon zu ernähren.)

Dieser Ansatz ist sehr gut generalisierbar, und in diesem Zusammenhang bestens geeignet, um eine universelle Personenethik zu begründen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, andere Personen von einer gleichwertigen ethischen Einstufung auszuschließen:

  • Menschliche Personen,
  • tierische Personen,
  • andere biologische Personen,
  • künstliche Personen (Cyborgs, Androiden),
  • technische Personen (KI),
  • außerirdische Personen,
  • nichtbiologische, natürliche Personen (mineralisch, energetisch),
  • immaterielle Personen (Geister, Engel, Dämonen, Götter),
  • tote Personen (Recht auf pietätvollen Umgang mit ihren Überresten),
  • potentielle Personen (Schwangerschaftsabbrüche nur begründet),
  • kollektive Personen (Superorganismen, Schwarmintelligenzen),
  • weitere erdenkliche und unerdenkliche Personen,
  • aber: fiktive Personen sind per definitionem nur fiktiv.

Damit wären alle Gebiete abgedeckt, in denen sich die Frage der Personenethik stellen könnte. Künstliche und technische Fortschritte werden früher oder später ethische Fragen nach dem Personstatus einer KI oder eines transhumanistisch erschaffenen Cyborgs aufwerfen. Um diese Aufgabe anzugehen, brauchen wir noch nicht einmal die hypothetische Möglichkeit von Außerirdischen.

Das ethisch längst überfällige Nahziel sollte aber die Gleichstellung von tierischen Personen sein, wie es seit Jahrzehnten Tierrechtler fordern. Zusammen mit der noch laufenden Aufgabe des zwischenmenschlichen, diskriminierungsfreien Umgangs miteinander, haben wir so für die nächsten Generationen genug zu tun.

Nachsitzen auf der Erde

Der Himmel muss warten. Wir haben unsere Hausaufgaben noch nicht gemacht.

Eine weitere Frage wäre auch: Befinden wir uns – galaktisch gesehen – in der Wiege, im Kindergarten oder in der Grundschule? Und wenn es wirklich schon die Grundschule sein sollte, welche Klasse? Erste, zweite? Oder sind wir schon auf der weiterführenden Schullaufbahn? Wohl nur ein Optimist wie Steven Pinker würde uns in der Abschlussklasse verorten.

Das grundlegende Wissen und Verständnis haben wir, aber nur die Wenigsten sind fähig und willens, es einzusetzen. Wir sind in der letzten Grundschulklasse, und die Meisten sind versetzungsgefährdet.

Nach einer bestandenen Reifeprüfung wären wir bereit, einen zivilisierten und respektvollen Umgang mit völlig andersartigen Personen zu pflegen.

Wir sollten uns also, wenn wir irgendwann einmal bereit sein werden, ihnen gegenüber, so wie uns gegenüber verhalten.

Update: Scinexx-Dossier „Metamaterialien“